Berührt

Das Haus aus Papier

Wie ein Haus aus Papier brennt ein weiterer Lebensplan lichterloh. Der erste Funke hing in der Luft wie eine Sternschnuppe: ich sandte meine Wünsche in das blaue Dunkel der Nacht.

aus der FLOW 55/21

Als ich eine weitere neue Couch (diesmal rosa, es reichte nicht mehr nur eine rosarote Brille zu tragen, Frau wollte eine ausziehbare Allegorie auf ihre Naivität) mein Eigen nannte, mich in einer neuen Stadt durch ihre engen Gassen bewegte, tat ich dies mit einer an einer Leine geführten Rastlosigkeit. Ich fütterte sie mit Ruhe und Genügsamkeit, denn zum ersten Mal schien mein Herz ein Zuhause gefunden zu haben. In einer Stadt, die ich vor Jahren als pures Gefängnis unlebbar abgestempelt hatte. Was hat ein Sandfloh, wie ich, auch, auf einem Berg verloren?
Aber ich verbot mir das reflexartige Weglaufen.

Das dritte Jahr ging ins Land. Ein innerer Meilenstein war erreicht. Ich blätterte im Buch potentieller Lebensgestaltungen wie in einem Katalog. Ein einziges Outfit für ein ganzes Leben? Langsam sickerten die zähen Tropfen der Realität durch das porös werdende Gewebe meiner naiven Träumereien.
Wollte ich mich festlegen, konnte ich mich festlegen? Ich erinnere mich an einen Spruch einer Freundin: “Keine Sorge, Dee, du wirst nicht 40.” (mittlerweile ist das ein running gag) Sie traf den Nagel auf den Kopf. Das klassische Korsett wollte ich noch nicht mal probieren (lag das unter Umständen auch am BH-Trauma?). Wie konnte das Herz frei schlagen und der Bauch mich leiten, wenn beide durch einen Rahmen weiblicher Verpflichtungen und generationsübergreifender Gesetze, über wie ein Leben geführt werden musste, erdrückt wurden.
In Korea ist eine unverheiratete 25jährige Frau eine “Übriggebliebene”. In China gibt es dafür einen Ausdruck: 剩女 Sheng nu.

Marriage Market Takeover

Wie viel Angst konnte eine gebildete Frau einem Mann (ich möchte nur daran erinnern, wie sehr ein BH verängstigen kann), ja einer ganzen Regierung machen, dass man(n) ihr unbedingt Ketten anlegen wollte, ihren Uterus zum staatserhaltenden Gemeingut erklärt? nota bene: Polen verabschiedete vor wenigen Tagen das neue Abtreibungsgesetz, wonach “Abtreibungen bei Fehlbildungen des Fötus in Zukunft illegal” sind. Eine wichtigen Schritt weg von dieser Monstrosität tat Biden, in dem er das von Trump weiter verschärfte “Global Gag Rule” außer Kraft setzte, dieses verbat NGOs, die durch US-Gelder unterstützt wurden, jegliche Beratung hinsichtlich Sexueller Gesundheit und in weiterer Folge Schwangerschaftsabbruch.
Meine Biographie zwingt, oder fordert, mich glücklicherweise immer und stets dazu auf mich mit dem Thema “Was bedeutet Frausein?” zu befassen, während es für andere ein mühseliges Thema ist, hört es nicht auf mein Leben zu prägen. Mit 38 kann ich auf den kurzen Weg zurückblicken und sehe klarer, warum ich bin, wie ich bin. Warum ich fühle, wie ich fühle und warum ich nicht aufhören kann Wahrhaftiges zu suchen. Warum ich die Frauen liebe, die es mir zeigen, dass die Veränderung nur passiert, wenn es wer wagt:
Freundinnen, die ihre Töchter zu aufgeweckten, auf Regale kletternde, in tiefster Versunkenheit vor sich hinsingende Frauen erziehen und sie nicht auf ein Leben mit abgesteckten Etappenzielen und Erwartungen vorbereiten, sondern zu einem, in dem wir den Mut haben dürfen, den Dschungel der Vielfalt zu erkunden und Berge zu erklimmen um die ganze Welt zu unseren Füßen zu wissen.
Zwei Kanadierinnen, die eine lebte in einer selbst gebauten Hütte in den Tiefen British Columbias, wohin sie sich zwischen ihren Auslandseinsätzen zurückzieht. Die andere entschied, das Kinderhaben nicht an die Bedingung einer Zweierbeziehung zu binden. Man war kein besseres Elternteil nur weil man Teil von einem Paar war.

Francesca Colussi Cramer

Dann gibt es eine Frau, die mich regelmäßig so tief berührt, dass ich ihr meine Bewunderung offen um die Ohren knalle. Sie zeigt mir, dass der Mut sich selbst zu stellen und seinen Weg zu gehen, der einzig richtige ist, das der bei unseren Eltern nicht immer gut ankommt, ist vorprogrammiert, aber ihn zu gehen ist gerade dann so wichtig. Nur weil etwas scheinbar sicher ist, weil klassisch, muss nicht immer gut sein.

Wenn ich gedanklich ständig in gesellschaftlichen Mustern stecke, Rollen spiele oder einfach nicht im Jetzt bin, dann hör’ ich auch die Stimme meines Herzens nicht.

Aber auch im 21.Jhd hält sich das Schreckbild “Single Frau” und junge Mädchen essen ihre Schoko Crispies und träumen von ihrem “schönsten Tag”. Meine Vorstellung von meinem schönsten Tag? Mein schönster Tag war das Potpourri erster Male als meine eigene Frau! Hinter einer sich öffnenden Tür erwartete mich nicht mehr der abkanzelnde Blick der Mutter, sondern in ruhiger Nacht liegende Freiheit.
Jede Entscheidung zur Selbsterverwirklichung bedeutete eine Beleidigung der Institution Eltern.
Ist Selbstverwirklichung nicht der innerte Sinn eines Lebens? Wohlgemerkt eines Lebens, das den Luxus maximaler Ausschöpfung aller Möglichkeiten und Sicherheit bietet und von keinem Krieg oder Hungersnot bedroht wird. Über diesen Luxus bin ich mir jeden Tag bewusst und versuche meinen Weg in dankbarer Bescheidenheit zu gehen.
Ich appeliere dafür, es anders zu machen als unsere Eltern. Ist das blasphemsich? Nein. Unsere Eltern sind Vorbilder, ich bewundere meine Eltern für ihren Mut sich dem Fremden zu stellen und mir damit das Eldorado der Selbstbestimmung zu zeigen, aber ein “Wir wollen doch nur das Beste für dich” ist kein Argument sich der Verantworgung zu entziehen, sein Leben selbst zu meißeln. Unsere Eltern sind nicht die Schneider unseres Lebens-Kostüms.
Also treibt jede Entscheidung, die mich mir selbst näher bringt, einen Pfeil durch die Ehre meiner Eltern.
Ich war dabei einen weiteren zu spitzen.

aus der FLOW 55/21

all great changes are preceded by chaos

D.Chopra

Die Flammen- Sternschnuppe fiel, durch einen Wind, der durch ein offenes Fenster in meinem Herzen entkam, angetrieben, aufs papiernene Haus. Einen Wimpernschlag später stand alles in Flammen. Das Chaos schmolz zu Lava und machte den Weg frei.
Das Neue war unklar, unscharf, verborgen in einem Wechsel von Hell und Dunkel. Aber, wie ich schon mal erkannte, dass der hellste Scheinwerfer den Weg nicht beleuchten kann, solange ich nicht bereit war ihn zu begehen, so sicher war ich, dass das Bleiben zu Ende war.

Einmal mehr schmücke ich das Fragezeichen mit Blumen und kann die Veränderung kaum erwarten.

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