Gelebtes

Lerici und das Fin de Siècle

Einen angenehmen Spaziergang würde ich den Weg von Fiascherino nach Lerici nicht nennen.

Auf einem schmalen Streifen, der weniger für Fußgänger als als Puffer bevor man mit den Auto gegen die Leitplanken knallt gedacht ist, bewege ich mich immer, brav auf die entgegen kommenden Autos achtend, um die engen Kurven entlang der Buchten mit luxeriös sich, von Bougainville eingerahmten, ausdehnendem Meer. Ein Postkartenmotiv. Warum nur gibt es so miese Postkarten bei diesem Paronama? Die sollten mich anstellen. Ich lasse das Business wieder boomen.

Lerici muss jeden mit Zufriedenheit erfüllen, der nach dem perfekten Foto, nach Rat von Dr. Google, Ausschau hält. Das

Castello ragt links über die Bucht, darunter zwängen sich die Boote eng an eng, wie manövrieren die sich da raus?

Mein gepunkteter Rock weht im Wind während ich in den Schatten der engen Gassen stehe und einen Blick durch einen aufgewühlten Vorhang in ein Wohnzimmer erhasche. Bougainville überall.

Ich bin eine typische Touristin auf der Promenade mit Blick auf die Boote in einer Kakophonie aus Italienisch, Deutsch und Englisch. Menschen aller Couleur flanieren an mir vorbei: eine Dame in Gelb, von Kopf bis Fuß in wallendem sonnengelben Leinenkleid mit gelber Kunstperlenkette und dicker gelber Brille auf der Nase. Ein Junge trägt einen größenechtes Luft-Delphin vorbei. Eine Runde heiserer Stimme diskutierender alter Signori mit Zeitung unter dem Arm. Vielleicht reden sie über die Neuwahlen – und das während Ferragosto?

In einem nahen Café treffen sich die Anrainer zum Zeitunglesen, im Hintergrund dudeln Oldies, bei einem Herren stelle ich aus der Ferne die Verdachtsdiagnose eines Lentigo maligna (wen wunderts, die braten sich hier wie Heringe am Grill, in der Sonne), der andere stopft sich kurzerhand das Sitzkissen in den Nacken und nickt ein, und über der Bar ist ein Fahrrad geparkt.

Off topic: Warum wundern sich Leute, wenn rechte Parteien sich ein auf das andere Mal als völlig regierungsuntauglich kristallisieren? Welche Hoffnung kann man aus Hassrede, Spaltung und Ignoranz pressen, noch dazu wenn die Taten den vielen Versprechen eines guten Lebens Lüge strafen?

Ein Bier um 12:30 auf meine düster aufkommenden Gedanken und einer vehementen Endzeitstimmung. Ich sitze mit Blick auf Idylle und die Welt geht unter. Meinem fin de siècle fehlt die Hoffnung auf Neuanfang und Besserung.
Ich höre Meldungen aus Libanon, Schießereien im Bekka-Tal, und denke an alte Kollegen.
Ich denke an den brennenden Amazonas, in dem ich vor paar Monaten noch war, und den ignoranten Ansichten der Klimawandel-Verweigerer, die den Brand Notre-Dames als eine größere Tragödie betrachten.

Ich kann noch so schöne Bilder machen, ich befinde mich in einer Blase…

Ich bin keine typische Touristin. Es ist doch nur geborgte Zeit.

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