Gelebtes

homini hominus lupus est

Aus irgendeinem Grund erinnerte ich mich an “Trotzdem Ja zum Leben sagen” von Viktor E. Frankl.

Die letzte der menschlichen Freiheiten besteht in der Wahl der Einstellung zu den Dingen. (V. E. Frankl)

Vor paar Wochen las ich “Die Freiheit frei zu sein” von Hannah Arendt. So war die Brücke zu den Eichmann-Prozessen geschlagen. Arendts Essay über Adolf Eichmanns Verhandlung in Jerusalem, nachdem er zuvor auf Ben Gurions Weisung entführt wurde, hat in den 60ern viel Staub aufgewirbelt. Sie prägte den Begriff der “Banalität des Bösen”.
Von Eichmann schließlich kam ich nach Dachau (nicht weil eine Verbindung bestand).

Je geformter eine Maschine ist, um so besser ist sie. Je genormter jedoch der Mensch – je mehr er einer Durchschnittsnorm entspricht – um so abtrünniger ist er der ethischen Norm. (V. E. Frankl)

Ich dachte, die Stadt, und andere Städte, die im Bannkreis eines KZ liegen, stünde unter einer Käseglocke böser Aura. Konnten 74 Jahre einen Ort von all den Taten freiwischen, ist Zeit allein Wiedergutmachung genug für das Nicht-Sehen-Wollen? Österreich und Deutschland können sich nicht rühmen, sehr engagiert und vehement gegen die Nazis in der Nachkriegszeit vorgegangen zu sein. Wieviele Politiker wären der 2.Republik abhanden gekommen, hätten sie alle, aufgrund ihrer Vergangenheit, ihr Amt räumen müssen?

Arendt beschreibt nicht nur den Prozess, der nicht nur zur Verurteilung eines Kriegsverbrechers dienen soll, sondern die Implikationen. Unter Ben Gurions Regie soll der Prozess der Welt die Schamesröte ins
Gesicht treiben, den Israeli anhand des jüdischen Opfertums die Lehre daraus ins Gedächtnis tätowieren und ihnen klarmachen, dass ein Leben unter Nicht-Juden nicht möglich war. Sie zeigt die Vorurteile auf, die auch heute noch bestehen. Ich musste kurz das Buch weglegen, als sie die Passage der Verteidigung beschreibt, die die Frage stellt, ob das Ziel des Holocaust nicht die Errichtung Israels gewesen wäre, anlehnend an eine Theorie, dass Zionisten gemeinsame Sache mit Hitler gemacht hätten.

Ja, ich bin in Dachau.
Ich fuhr zur KZ-Gedenkstätte Dachau.

Was kann ich anderes erzählen, als schon bekannt ist? Ich habe keine Fotos gemacht. Ich war noch nie auf einem Schauplatz, wo so viele Menschen getötet wurden. Die Füße dort aufzusetzen, wo die Menschen Schritt für Schritt, Raum für Raum starben um am Ende bei den Öfen zu stehen… Wer hier Fotos macht und darauf auch noch lachend posiert, was will man denen sagen? “You should be ashamed of yourself”, brachte ich heraus, aber man sah mich nur groß an.

Soll ich euch erzählen, wie erdrückend der weiße Kieselsteinbestreute Appellplatz flankiert vom Wirtschaftshaus und der Rekonstruktion einer Baracke wirkte? Soll ich euch von den Zeitzeugnissen Überlebender erzählen, die stundenlang auf diesem Platz standen und ihre Kappen aufhoben, weil es der SS so gefiel?
Möchtet ihr die mit Pappeln flankierten Lagerstraße beschrieben lesen, die zwischen den Baracken zum Appellplatz verlief? Oder eine weitere Schilderung der Versuche (Unterdruck, Tuberkulose, Höhe, Untrkühlung, etc…) die sie an den Gefangenen unter dem Deckmantel der Wissenschaftlichkeit begingen (und dieses Leid war ausschlaggebend für die Neuformung von Ethik in der Medizin, Nürnberger Ärzteprozesse 1947, Deklaration von Helsinki)?

Ein Besuch in einem KZ dient uns nicht nur zur Erinnerung- und das wäre ausreichend Grund, wenn man unsere Politik bedenkt, wenn man die unsagbare Grausamkeit gegenüber Migranten (Arendt: “Als Flüchtling hatte bislang gegolten, wer aufgrund seiner Taten oder seiner politischen Anschauungen gezwungen war (…) Es stimmt auch, wir mussten Zuflucht suchen, aber wir hatten vorher nichts begangen(…) ‘Flüchtlinge’ sind jene, die das Pech hatten, mittellos in einem neuen Land anzukommen und auf die Hilfe der Flüchtlingskomitees angewiesen waren “) bedenkt.

Das Böse lässt sich nicht allein durch die Dokumentation ihrer Zerstörungskraft bezwingen. Das Böse entlarvt sich nicht mittels auf die Stirn tätowierter Prophezeiung (“Death”). Wie Arendt es beschreibt, ist es deswegen so gefährlich, weil es banal ist. Es gibt keine anwendbare Pathologie des Bösen. “… ;die Hölle ist keine religiöse Vorstellung (mehr) und kein Phantasiegebilde, sondern so wirklich wie Häuser Steine und Bäume”

Wir Menschen sind Wiederholungstäter, wieder und wieder. Mit dem Finger auf andere zeigen, können wir auch sehr gut, “Wie kann man nur. So unmenschlich”

(…) Wir haben unsere Sprache verloren und mit ihr die Natürlichkeit unserer Reaktionen, die Einfachheit unserer Gebärden und den ungezwungenen Ausdruck unserer Gefühle(H. Arendt)

Ich kann nicht sagen, welchen Eindruck die Stadt Dachau bei mir hinterlässt. Ihr schwärzester Moment ist Teil des Lebens. Der Weg des Erinnerns führt vorbei an am Amper gelegenen Mehrfamilienhäusern in unmittelbarer Nachbarschaft zu den SS-Villen, die jetzt von der Polizei genutzt werden. Die Straßen wurden umbenannt (Adolf-Hitler-Straße zu Frühlingsstraße, die SS-Straße zu Straße der KZ-Opfer), Tafeln beschreiben den Weg, den Gefangene vom Bahnhof Dachau zum KZ genommen haben.

Ist jemals der Punkt erreicht, dass genug über den Holocaust geredet worden war?
Ich glaube nicht, ich glaube eher, dass durch das Abebben von Zeitzeugen- Berichten es mehr und mehr zu Museums-Wissen wird.
Diskriminierung, Besserstellung des einen Ichs über das andere Ich, Xenophobie, Nationalismus etc sind allgegenwärtig…

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Bücher, die ich im Laufe der Zeit gelesen habe und empfehlen kann (logischerweise ohne Anspruch auf Vollständigkeit):

Trotzdem Ja zum Leben sagen, Viktor E. Frankl (1946)
Am Seil, Erich Hackl (2018)
Die weiße Rose, Inge Scholl (1953)
Damals war es Friedrich, Hans P. Richter (1961)
Der gelbe Vogel, Myron Levoy (1977)
Im Vorhof zur Hölle, Carlo Ross (1991)
Jugend ohne Gott, Ödön von Horvath (1937)
Wir Flüchtlinge, Hannah Arendt (1943 We Refugees)
Der Vorleser, Bernhard Schlink (1995)
Die Welt von Gestern, Stefan Zweig (1942)
Die Bücherdiebin, Markus Zusak (2005 The Book Thief)
The Boy in the Striped Pyjamas, John Boyne (2006)
The Boy at the top of the Mountain, John Boyne (2015)
The Boys from Brazil, Ira Levin (1976)
Schindlers Liste, Thomas Keneally (1982 Schindler’s Ark)
Der Rauch über Birkenau, Liana Millu (1947)
Eichmann in Jerusalem: A Report on the Banality of Evil, Hannah Arendt (1963)
Die Geschichte der Israelis und Palästinenser, Martin Schäuble

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