Beflügelt

Dreh- und Angelpunkt Quito

Um den sehenswerten Attraktionen näher zu sein, schlug ich mein Lager im historischen Zentrum auf.

Welch Fehler. Sämtliche Sinne waren überfordert und ich strauchelte durch die Straßen alles hässlich findend. Vor allem die Menschen. So viele noch dazu! Wo kamen sie alle her, was wusselten die so?! Ich war merklich überbeansprucht, und das nach nur zehn Tagen Natur und kleinen Menschengruppen. Irgendwie war ich nicht auf Kultururlaub getunet. Ich wollte so weit wie möglich weg, wieder abtauchen in Vogellaute deuten und Fische schauen.

Alles erschien kläglich, mir taten die komatös ausgeknockten Alkis in den Türpforten, die Alten, die zwischen Autos herumlaufend versuchten etwas zu verhökern, die Kinder, die von ihren Müttern mit Bauchläden hintenher gezerrt wurden, leid. Zivilisation in all ihrer Schäbigkeit.

Auf der Suche nach einer Pedi-Mani zu angemessem Preis und ich meine nicht dumpingpreise, gab ich es schließlich auf und kehrte in ein nahegelegenes ein. Alles für nur 9$. Ich kam mir Scheiße vor. Während der Prozedur, verwickelte ich mich in ein Gespräch mit der Mitarbeiterin. Joanna, 20 Jahre alt, Venezuelas Chaos geflüchtet, sprudelte wie ein Wasserfall und sie kramte in ihrem Englisch, bis sie sich verständlich gemacht hat. Ich musste lachen! Sie erzählte über ihren Wunsch fertig zu studieren dass sie ihren Vater vermisste und dass sie sieben Tage die Woche für 4% des Wochenertrags schuftete, daher auch keine Freunde habe. Aber! Aber einen Liebhaber, da hat ihr Gesicht gestrahlt. Neben uns saß der gelangweilte Emerson, Friseur. Er hörte interessiert mit, als ich die Nachbarländer Österreichs aufzählte und staunte, dass ich drei Sprachen sprach. Jetzt kamen mir 9$ noch unverschämter vor.

Dem ganzen Getümmel und dem Überangebot an Polizei, wegen großer Demo, überdrüssig fuhr ich nach La Floresta, dem Künstlerviertel. Als ob jemand den Ton ausgemacht und die Sättigung hoch gedreht hätte, hatte ich Ruhe gefunden.

In jeder Gasse flackerte bunte Straßenkunst auf, Parkstreifen waren hier türkis, ein jeder Begrenzungsstein war bemalt.

Erleichtert setzte sich mich in vegetarisches Restaurant, Donde Gopal, zu einem Veggieburger und Limonade und im Anschluß ins Café Jaru zu einem Kaffee, die Nase tief in einem Buch.

Diese Option war mehr ich, als mein erster Versuch Zuflucht in der Stille diverser Kirchen zu suchen. Was hab ich bloß mit Gotteshäusern? Atheistin, die ich bin. Ecuadors Kirchen lassen in Sachen Protz nichts aus, wo Gold hält, ist Gold dran. La Compania läuft diesbezüglich allen anderen den Rang ab, ich war geblendet: Schnörkel über Gold über Prunk vom Boden bis zur Decke.


Am nächsten Tag, um ein wenig Geld in Umlauf zu bringen, fuhr ich mit dem Bus (erinnert mich an meine Busfahrt in Korea) mitten durch die Anden und berauschender Kulisse nach Otavalo, eine kleine beschauliche Stadt, die berühmt ist für den Handwerks-Markt. Ich traf dort Maria, eine junge Ärztin, die ich am Flug kennengelernt hatte und wir gingen typisch ecuadorianisch essen.


Cotopaxi, 5870m

Davor hatte ich mich etwas gefürchtet. Ich gehöre nicht unbedingt zu der Kategorie Mensch, denen Selbstüberschätzung eine natürliche Art ist, eher das Gegenteil. Um 6:30 machten wir uns auf den Weg zum Cotopaxi Vulkan, 5870m hoch, für Lauch, wie mich, nur bis 4900m zu begehen. Ich bewunderte einmal mehr die Zähigkeit, Ausdauer und Lungentätigkeit aller, die den Gipfel erklimmen. Für Ecuadorianer gewissenen Schnittes ist das ja ganz normal, Luis (mein Guide im Amazonas) zum Beispiel bestieg den Vulkan mehrere Male im Jahr um Bergsteiger hinaufzuführen. Ich? Ich konnte es erst gar nicht erwarten, weil ich mir 4900m nicht vorstellen konnte (so entging mit beinahe auch eine große Herde Alpaka auf dem Weg).

Erst mal am Parkplatz auf 4500m angelangt und zehn Schritte getan, kam mir einiges komisch vor. Ich war müde, ich fror, ich kriegte keine Luft. Weitere zehn Schritte später musste sich ein Mammut auf meine Schultern gesetzt haben, das Gehen fiel mir schwer. Wir waren keine 50m vom Bus entfernt und so sollte es 400hm gehen? Mich irritierte die warp- Geschwindigkeit der anderen und die völlig überzogene Überschätzung eines Amerikaners, (der nebenbei noch fließend Mansplaining sprach und mir ernstens erklären wollte, wie ein Rucksack funktioniert), aber es war mir egal. Mit einer Deutschen fanden wir ein Tempo, dass uns nicht völlig ins Straucheln brachte. Ich konzentrierte mich sehr auf meine Atmung, die vor lauter Sauerstoffmangel allzu motiviert in die Hyperventilation zu rutschen drohte. Ich war fassungslos, als uns flotten Schrittes in kurzen Hosen ein älterer Herr überholte (Olympionike oder was?). Er reagierte auf meine Bewunderung mit einem kaum merklichen Nicken.

Die Wolken hingen tief und die Aussicht auf den Gipfel blieb uns verborgen, hingegen der auf die Umgebung auf knapp 4650m war endlos. Kein Foto wurde dem Bild gerecht: eine weite Landschaft aus Hügeln Wiesen,an denen irgendwo wilde Pferde grasten, fernen Vulkanen und Bergen und darüber Schleier von weißen Wolken.

Ich weiß nicht mehr, wann wir das Refuge erreichten, das auf 4800hm lag, und mit heißer Schokolade lockte. Meine Lungen fühlten sich an wie ein leerer Dudelsack. Ich war fest davon überzeugt, ich mache keinen Schritt mehr und ein Hubschrauber (ähnliche Wünsche hatte ich in Jordanien…) muss mich holen kommen! Aber, es schien, ich musste mir etwas beweisen, also nahm ich die letzten 100hm auch noch in Angriff.
Die hatten es in sich, links von mir abfallender Hang und der Weg rutschige Erde! Meine Gelenke hielten das gar nicht gut aus und gaben immer wieder nach.
Die Berggeher unter euch hätten das im Handumdrehen geschafft, aber ich war schon an meine Grenzen gekommen. Abgesehen davon fehlte mir die notwendige Dosis Testosteron um halsbrecherisch zu sein.

Nachdem ich den Rückweg mit nur einem fast-Sturz, den ich gekonnt mit einem Matrix-Move abfing- leider (wie alle meine coolen Stunts) völlig unbemerkt (genauso wie ich einmal beim Billard die Kugel über drei Banden einlochte), hätte ich fast drei Kreuze gemacht.

So, ich hatte mir ja wohl genug bewiesen, mehreren Angst-Dämonen gleichzeitig gegen das Schienbein getreten, ich würde es jetzt gut sein lassen, als bei der Frage wer einen Teil des Wegs zurück am Mountainbike bewältigen wollte, meine Hand in die Luft ging. Es musste ein Symptom der Höhenkrankheit sein! Ich auf einem Mountainbike! Ich!

Ich schnallte mir Schützer und Helm auf und setzte mich auf ein Bike, dessen Bremsen ich als erstes austestete. Es hatte keine Gänge, aber vor allem keine Dämpfer. Ich war in dem Augenblick sehr froh, weiblich zu sein und keine externen Geschlechtsorgane mit dieser Fahrt zu gefährden. Es ging steil bergab reich gesät mit Löchern, Erhabenheiten und schön schottig über teilweise sehr engen Kurven. Die Strecke betrug 8km. Bei der Affengeschwindigkeit, die wir drauf hatten, in dreißig Minuten zu “schaffen”.

Ich brauchte drei Kurven um mich an die Sache zu gewöhnen, aber erst mal den Dreh raus und die Finger fest um die Bremsen fein dosierend, dass es mich nicht vorne drüber schleuderte, konnte ich meinen Blick schweifen und die Umgebung, nun frei von Wolken, genießen! Cotopaxi zeigte sich und nun endlich in voller Pracht und die Sonne strahlte. So sehr auf meine Sicherheit bedacht, hatte ich keine Kamera mit um Fotos zu machen. Die anfänglich rasant-wilde Fahrt ebte ab und über das letzte Flachstück erreichten wir das Ziel. Ich war vierte von elf und ein klitzekleines Bisschen stolz auf mich!

Photocredit Chris O’Sullivan


06 Februar. Ich war aus den Wolken im Smog gelandet, aber diesmal, um es sich nicht total mit mir zu vertun, strahlte Quito im Sonnenschein und entsprach meinem ersten guten Eindruck!

In linken Ecke von San Francisco sang ein Herr melancholische Lieder und am Fuße der Kirche stand Cecar und hoffte auf ein paar Dollar, die ich ihm gab. Er glaubte, ich hieße Lydia, ich ließ ihn in dem Glauben. Vielleicht ergänze ich mein Reise-alter-Ego Anita um Lydia?

Zum Abschluss meiner Reise besuchte ich die Fundacíon Guayasamín des bekanntesten und einflussreichsten Künstlers Ecuadors, Oswaldo Guayasamín. Dort steht neben seinem Haus, die Capilla del Hombre, all den Gräueltaten der Welt zur Erinnerung an die Würde des Menschen gewidmet.


Ich mach mich auf den Weg zurück und es fühlt sich gut an!

Ecuador ist ein wunderbares Tor für mich zu Südamerika gewesen. Keine Reise war so abwechslungsreich, was Klima, Höhe, Natur und Aktivität angeht, wie diese. Es gab keinen Moment, in dem ich mich unsicher fühlte und die Menschen, die ich traf hatten den guten Ruf nicht von irgendwoher. Sie waren herzlich, unaufdringlich, zurückhaltend und begeistert.

Natürlich bewege ich mich auf so einer Reise in einer Blase. Der echte und unverfälschte Blick hinter all den Touri-Firlefanz gelingt nicht in drei Wochen. Am nächsten bin ich dem in Santa Lucia gekommen. Aber ein paar Schritte abseits der Komfortgrenze erlauben einen guten Blick. Ich bleibe immer eine Reisende, bin nie Teil von etwas, aber behutsam, mit leisen Tritt und ewig dankbar, saug ich alle Eindrücke auf!

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