Beflügelt, Entfaltet

Geburtstag in den Wolken

02.01 Endlich darf ich mal einen Futur II anbringen: Am 03.Februar werde ich Geburtstag gehabt haben.

Um das Älterwerden gebührend nicht zu feiern, habe ich mich aus Quito in den Nordwesten Ecuadors befördern lassen. Zwei Stunden Autofahrt auf kurvigem Gelände durch das Gebirge mit anschließender 2.5km (ich betone Höhen und Distanzen nur um festzuhalten, dass ich nicht gar so ein Verweigerer bin)- Wanderung tiefer und höher in den Nebelwald hinein – bergauf! führten mich an einen verwunschenen Ort, Santa Lucia Eco-Lodge (von der Community betrieben um den Wald zu erhalten, unterstützt durch amerikanische Universitäten und wenige Reisende, die bereit sind die Strapazen und den Mangel an Hotelkomfort hinzunehmen).

Das Paradies ist eben nicht verkehrsgünstig, mit angrenzendem Parkplatz, gelegen. Dieses Paradies kam mit dem Bonus eines Maultieres, das meinen Rucksack trug (ich war ihm sehr verbunden!). Ganz ohne Luxus geht es wohl doch nicht.
An den Hang gebaut, habe ich einen enormen Blick über das Land, in dem Fall Wald, in dem die Wolken tief und schwer wie Watte hängen. Aus meiner Hütte aus glänzendem Avocadoholz genoss ich ein ungestörtes Panorama über endlose Stille, lediglich unterbrochen vom Gezirpe und dem propellerartigen Geräusch der Kolibris, auf die ein leichter warmer Regen tropfte.

Es gab hier keine Elektrizität, dafür hatte ich drei Kerzen. (So schlau wie ich, manchmal, bin, hatte ich erstmals eine powerbank mit.)

Mich hatte das Prinzip “Cloud catching/seeding” fasziniert. Was für ein Job oder? Wolken fangen. Unter “Cloud catching” versteht man das Einfangen von Nebel mittels dünnen Netzen (“Atrapanieblas”), praktiziert in Villa Lourdes/ Peru in Gebieten ohne fließend Wasser zur Bewässerung. Ähnliches wird in Texas über sehr trockenen Areal mittels “cloud seeding” versucht: durch verschiedene Substanzen (Silber-, Kaliumiodid, Trockeneis) kann der Niederschlag durch mikrophysische Modifikationen in der Wolke verändert und optimiert werden. Umweltschutztechnisch ist diese Methode aber noch zu wenig erforscht.

Ich wollte alleine sein. Ich war alleine. Außer mir kein einziger Gast. Ich wollte mich in die Wolken betten.
Umgeben von Orchideen, Kolibris und dem Stillstand der Zeit (schön wäre es gewesen, dann wäre ich nie 36 geworden) und die Sicht von dichtem weißen Nebel versperrt, wollte ich mich verlieren und herausfordern, nicht verlernen Neues (und wahrlich bei jeder Aktion musste ich ein Revers unterschreiben, dass ich alleine das Risiko und die Kosten für einen eventuellen Schaden, u.a Schlangenbiss und Tod [zu letzt musste ich so etwas beim Besuch der nordkoreanischen Grenze unterzeichnen]) zu wagen und mich Dingen stellen.

Nebenher noch das Land erkunden. Der Teller war mal wieder übervoll! Das mit den Herausforderungen hab ich bravourös gemeistert:

Hier kam mit 36 Jahren und einem Tag noch etwas dazu, aber gehen wir chronologisch vor.

An meinem Geburtstag machten wir einen Gewaltmarsch von 5km über Stock, Stein, Schlamm und herabgefallenem Geäst zu drei Wasserfällen und der Zuckerrohrplantage.

Dort pressten wir uns Zuckerrohrsaft (die Presse war eine aus zwei behebigen gerillten Walzen bestehende Maschine, die sonst von Maultieren betrieben wird, an diesem Tag waren wir es), den wir mit Zitrone und Zuckerrohrschnaps verfeinert zur Nicht-Feier des Tages genossen, Cheers! Zuckerrohr erinnert mich an Sri Lanka. Als Kinder bekamen wir Teile davon zum lutschen und wir ließen nicht eher ab, als dass alle Zahnzwischenräume voller Fasern und jeder Tropfen Zucker herausgesaugt war!
Nach dieser Anstrengung beschloß ich das mit dem Wandern gut sein zu lassen und ab sofort nur noch Gemütliches zu machen.

Also gingen wir am Folgetag auf einen gemütlichen Spaziergang.

Morgens um acht hing der Nebel nach einer Nacht Regen tief und schwer, er bildete feinste Glasperlen auf noch so dünnen Fasern. Er gab Laub, das kunstvoll gehäkelt wirkte, den letzten Glanz. Der Wald war träge von dem vielen Wasser, es tropfte, ronn und schmatzte im Gehölz. Ich versuchte alle Sinne gleichzeitig zu schärfen, mit der Nase an sich öffnenden Blüten, die Ohren in den Baumwipfeln um den Augen ein Ziel zu geben, die Finger am Samt diverser Blätter und den Schritt fein balancierend, dass ich mir keine Schlammpackung verpasste.

Es begegnete uns ein Aguti (ein scheues Nagetier- am Abend warteten Mamma und drei Jungen vor meiner Hütte), Tukane und ein Schwarm Papageie.

Auf halben Weg fragte Noé mich plötzlich, ob ich schaukeln wollte? Was für eine Frage! Ich liebe Schaukeln, war ja auch nicht gefährlich. 17 Tage in Ecuador und ich hatte noch nicht gelernt, dass hier nichts ungefährlich ist!

Die Schaukel war an einem siebzehn Meter hohen Ast angebracht! SIEBZEHN! Es schwang mich hoch über die Lichtung hinaus und ich sah in eine dichtbewachsene steilabfallende Stelle des Waldes!

Ich wollte gerne den Ausschlag messen, aber Mathe ist bekanntlich nicht meine hervorragendste Stärke, aber ich habe einen online- Rechner gefunden, der bei einer Länge von 17m und einem geschätzten Winkel zwischen 20°-30° (ich hatte ordentlich Schwung) eine Amplitude von ca 10-13 m angibt (Formel ist t = 2 π √ l / g). Bitte unbedingt korrigieren, wer sich damit auskennt und meine Berechnung für Schmarrn hält!
Nicht unbedingt eine Todesschaukel, aber sehr wohl eine Polytraumaschaukel!

The true and durable path into and through experience,involves being true to your own solitude, true to your own secret knowledge. Seamus Heaney

Aber war das herrlich in der Luft zu hängen, die Haare verfingen sich im Wind und mir kam ein lautes Lachen aus. Auf einer Schaukel war man schwerelos, egal wieviel Ballast man trug. Im Moment des Antauchens musste ich loslassen, ohne Loslassen kein Fliegen. Es stockt einem erst der Atem und das Herz arretierte und am Höhepunkt des Schwungs klopft es bis zum Hals.

Letting go is accepting that rainbows don’t last forever

Ein Jahr älter aber um nichten erwachsener oder weniger naiv. In den letzten sechs Jahren ist doch viel passiert, ich glaube immer nur meine Leben stünde still, aber ich hatte auch immer wieder den Fehler gemacht, es an einem gesellschaftlich-akzeptierten Maß zu messen. In der Hinsicht hatte ich gänzlich versagt, das stand mit 30 schon fest. Mit 36 bin ich nur noch weiter von dem erwarteten Weg abgewichen, so dass es keinen Sinn mehr macht, zurückzurudern. Ich höre keine innere Uhr ticken, nur Gelenke knacksen. Ich spüre kein Alter, die grauen Haare zeugen von zu eifrigem Gedankenmahlen.

“Ich greife in den Himmel
Fange Sterne im Glas,
Wickel Wolken zu Zuckerwatte
Schöpfe Tee aus warmen Sommeregen.
Ich breite einen Teppich aus taufrischem Gras
Und pflücke einen Strauss
Vergiss mein’ nicht.”

Cloud Catching https://tinyurl.com/homev8v

1 thought on “Geburtstag in den Wolken”

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