Entfaltet, Gelebtes

Zerrissenheit

„Das kann nicht funktionieren“, so lautet das Mantra, das andere mir auf den Weg mitgaben. „Hast du dir das überhaupt durch den Kopf gehen lassen“ (mir gehen nur dumme Dinge durch den Kopf, alles andere entscheidet mein Bauch – übernimmt dafür logischerweise keine Verantwortung), war der zweifelnde Appel an meine geistige Gesundheit. Um welche Lebensfrage, Scheideweg oder Entscheidung es sich auch handeln mochte, das war den Kritikern (allesamt ungefragt und mehr durch ihre Selbstüberschätzung motiviert) egal – waren ja auch wechselnde Charaktere.

In srilankischen Familien hat man zu ALLEM eine Meinung: Ob es das erste aus der Reihe tanzende Ohrpiercing war, das mich aus der Liga der „guten“ sirlankischen Töchter katapultierte und meinen Eltern die erste (von vielen) Rügen zu ihren allzu leichten Zügeln in meiner Erziehung einbrachte, oder der erste weiße Freund. Nun, einige Piercings füllten die Zeit zwischen dem 3. Ohrloch und dem ersten weißen Mann (abgesehen davon, dass es nicht der 1. war- aber wollen wir das nicht weiter vertiefen).

Abgesehen von Piercings, kämpfte und kämpfe ich noch immer einen inneren Kampf zwischen dem, was meine kulturelle „hereditäre“ Pflicht an meiner Herkunft und Familie ist und dem „erworbenen“ Geist und Drang nach dem wahren Ichsein. In meiner Kommode verbergen sich so viele Versionen von mir, wie die vielen Skizzen eines Porträtzeichners, bevor er sich an das wirkliche und beständige Bildnis macht, das nachwelt-tauglich ist.

Aber es gefiele mir eher mich als eine Leinwand Picassos zu sehen, die alle Schritte und Launen des kreativen Prozesses in sich verewigte. Mit der Zeit kamen so viele Schichten Farbe und Pinselstriche auf die Leinwand, dass sie die alten Skizzen verschluckten, aber sich doch an ihnen anleiteten ohne die Grenzen zu berücksichtigen. Wenige Momente später kam ein mächtiger Farbhieb und revidierten einen anderen. Das Gemälde war in der Werdung schon so faszinierend, dass das Endresultat mit dem Wissen welcher Weg zurückgelegt wurde, welche Basis es polsterte, noch mehr Bedeutung und Kraft erlangte.

Ich hatte alle diese Ideen von mir, die sich z.B in einer sich während der Jugend permanent verändernden Handschrift niederschlugen. Allein die Ausrichtung des Papiers manipulierte meine Schrift, was mir ein „Befriedigend“ in Schönschreiben einbrachte (und hier schon zeigte sich meine Gespaltenheit: um ein „sehr gut“ zu verdienen, musste ich das Heft halten, wie alle anderen, aber als Linkshänderin bedeutete das mit meinem Handballen das mühsame Werk an noch feuchter Tinte zwangsläufig zu ruinieren. In meiner Gehorsamkeit sabotierte ich mich selbst. Ich konnte dieses „sehr gut“ nie erreichen!)
Mit 14 oder 15 trat meine Deutsch-Professorin an mich heran um zu fragen, wieviele Diyanis an einer Hausaufgabe geschrieben hatten. Auf 2 Seiten fanden sich 4 unterschiedliche Handschriften.
Wenn man keine Idee von der eigenen Identität hat, sucht man Anleitung bei anderen und sei es nur in einzelnen Buchstaben: dem „G“ meines Vaters, dem „L“ einer schönen Signatur, oder dem „h“ eines Jugendschwarms. Meine Schrift war so sehr Zeugnis meiner Veränderung und meiner Zerrissenheit wie der Versuch zu passen. Einfach zu passen, wo, zu was, zu wem auch immer. Ganz nach dem Motto „was nicht passt, wird passend gemacht!“

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Graz Herbst 2017

Das Passend-machen gab ich aber in den vergangen Jahren auf. Da ich mich nicht entscheiden konnte, wem gegenüber ich passend sein sollte: meiner familiären Verpflichtung, oder der österreichischen Gesellschaft/ Leben. So entschied ich mich für die Fortführung meiner Zerrissenheit. Ich durfte nur nicht ganz aus der Naht gehen. Um den Weg aber vehement zu verfolgen, war ich zu wenig Egoist. Ich lies mich doch noch anstupsen, ausrichten, schaute links und rechts, ob ich wohl nicht allen gleichzeitig und zu fest auf den Fuß trat. Irgendwem stieg ich bestimmt auf die Zehen. Wenn es nach meinen Eltern ging, dann waren es immer ihre Füße, die an die Undankbarkeit meines Trotzes glauben mussten.

Da ich auf dem Weg zu meiner Selbstfindung schon Handschriften imitierte, brauchte ich auch die Reibung mit anderen um mich zu erkennen.
Das Schöne an der Liebe war für mich nie „geliebt zu werden“; ich glaube sogar, dass ich eine Heidenangst davor hatte, dass meine kühnen Sehnsüchte tatsächlich in Erfüllung gehen könnten; sondern die Idee jemanden einfach nur zu lieben mit Vorzug in meinem Luftschloss. Ich schwärmte für Menschen in einer völligen Grenzenlosigkeit. Ich war ein Hippie. „Freie Liebe“ interpretierte ich mehr als die Wolkenschwimmzüge, als echte körperliche Nähe, die war mir ein Graus.
Mein erster Freund war ein Versehen. Der erste Kuss somit eine feuchte Katastrophe. So konsumiert von meiner „Tätigkeit“ als „Kummer-Tante“ und „Klassen-Mama“ dachte ich die Frage, „Wie findest du den?“ galt lediglich der Korrektur der Hormon-verklärten Wahrnehmung der anderen und nicht meinem (!!) Gefallen an dem besagten Möchtegern-Rapper in einseitig hoch-gekrempelten Hosen. Schnurrstracks hatte ich einen Freund (so schnell ging das damals). Ich, deren T-Shirts so lang waren, dass sie in die Hose gesteckt eine zweite Unterhose formten, die Haare jahreszeitenunabhängig zu einem Pferdeschwanz gezogen und mit Augenbrauen, die ich beim Herantasten an die Mittellinie beobachtete, den Moment des Pinzette-Einsetzens noch hinauszögernd. Dass ich nicht ausschließlich Sport-BHs trug, verdankte ich einer Freundin meiner Mutter, die mit mir meinen ersten Besuch bei Palmers beschritt. Der erste „westliche“ BH (aka nicht korsettartig einschnürend um die Biologie in dringend notwenige Schranken zu weisen – hat nichts gebracht). Den trug ich strategisch klug, falls dieser erste akzidentielle Freund auf Tuchfüllung gehen und ich vermeiden wollte, dass er vor dem beigen Ungetümen, die ich sonst trug, davon lief. Hätte ich bloß nicht versucht zu gefallen, wäre er freiwillig und eher gegangen.
Nur zu diesem Moment, mit 15, war ich die unemotionalste Version meiner selbst.
Mein erwachsenes Ich, das sich der Liebe wie ein Lemming als Opfer darbietet („nimm mich- ich bin noch nicht oft genug auf die Schnauze gefallen!“), kann sich nur wundern, wo und wann dieser Anteil verloren gegangen ist.
Ich trieb diesen armen Jungen mit den gleichen Handlungen zur Verzweiflung, wie mich später die Männer. Ich meldete mich nie, war kurz angebunden, stellte ihn meinen Freund nicht vor und machte im Pausenraum mit ihm Schluss. Karma, dieses verfluchte Miststück.
Dank dieses Missgeschicks blieb ich doch nicht der einzige ungeküsste Teenager. Nebenbei bemerkt, küssen fand ich nicht so prickelnd. Ganz zu schweigen von meiner Herpes-Phobie. Mich würde man wohl nie wild-knutschend (mit unbekannt) in der Disco antreffen.

Vielleicht war ich nicht zerrissen, sondern widersprüchlich? Jeden Tag akzeptiere ich aufs Neue, dass ich so getrieben, unstet und unzufrieden mit „mir im Moment“ bin. Unzufrieden, dass ich in einem Alltagstrott gefangen bin, unzufrieden meine Leidenschaften nicht mehr zu pflegen, unzufrieden, dass ich meine Eltern nicht/nie zufriedenstellen kann. Unzufrieden, dass ich noch immer nicht begreife, wie die Welt funktioniert; unzufrieden, dass mein Wissen so viele Lücken hat.
Ja, unzufrieden, dass mir die Liebe so schwer fällt.

Ich spüre wieder Unruhe in mir, die mich dazu überreden will, zu laufen, die Zelte abzureißen, wieder auf Einsatz zu gehen, um mich endlich nicht mehr zu spüren. Mich so sehr auf die Basis zu besinnen, zu tun, was ich liebe, worin ich aufgehe ohne an mich zu denken. Das reinigenste war auf Einsatz zu sein. Mein Herz konnte von der Vergangenheit heilen und wurde trotzdem nicht hart gegenüber der Zukunft. Es ging über für die, die gebrochen waren, aber dennoch mutig waren, es ging über für die, die für andere sich selbst aufbrauchten. Ich habe kein Verständnis mehr für Egoisten, für „me first“ und der permanenten Selbstbestätigung durch augenscheinliche Heuchelei. Seifenblasenmenschen, die nur existierten, solange sie nicht in Frage gestellt wurden.

Doch wann lernte ich mich nicht mit allem so zu belasten? Dem Menschen seine Selbstzerstörung zu lassen, so hohl sie mir auch war. Ich wollte so gern meinen Kopf wieder in den Sand stecken und nicht mehr den Schmerz des langsamen Verkommens spüren müssen. Zurück in meinen Teller und den Rand ganz hoch ziehen.

Auf der anderen Seite macht dieser Weltschmerz meine individuelle Sinnkrise, Identitätsverlust, Heimatlosigkeit und Ungebundenheit so bedeutungslos. Lenkt mich vermutlich auch so gut ab, dass mir nie genug Zeit bleibt mich zu bemitleiden.

Um zurück und zu einem Ende zu kommen: Ich wünsche mir mein hin- und hergerissen sein oft weg. Ich würde gerne nicht anders sein, „normal(er)“ sein. Unauffällig. Was paradox ist. Als einzige dunkelhäutige Schülerin bin ich mir in meiner grauen Wolke nie anders vorgekommen. Ich war eine (braun-)graue Maus, die jede freie Minute in der Bibliothek verschwand. Erst jetzt mit dem Alter werde ich mir mehr und mehr meiner Hautfarbe bewusst, weil es der Außenwelt so wichtig ist, einen Unterschied zwischen ihnen und mir auszumachen.

Braucht der Mensch eine kulturelle/ethnische Zugehörigkeit? Mache ich einen Fehler, weil ich diese Grenzen nicht beachte und mich in „gemischt-ethnische“ Verbindungen wage? Kann ich nicht einfach ein Mensch sein, der mit einem anderen Menschen nur deswegen verbunden ist, weil wir einander in unserem Sein faszinieren, aber nicht weil man einem gesellschaftlichen Regelwerk Folge leisten muss um nicht unbequem aufzufallen?

Aber kann ich das Kulturelle, das mir mitgegeben wurde, subtrahieren? Prägt mich die Mentalität meiner Eltern nicht auch und macht das differenzierte Herantasten erst möglich? Hab ich nicht einen Vorzug, da ich mir das Gute aus beiden picken darf um klarer zu sehen, was (für mich) gut ist?
Darf ich das aber von meinem Partner auch erwarten? Darf ich erwarten, nur weil ich ohne Wurzeln in der Gegend rumfliege und meine Disharmonie mit den Eindrücken der Welt ausgleiche, dass er es ebenso tut, dass er sich freimacht von einer Heimat, nur weil ich die nie hatte und jetzt nicht mehr brauche/suche?

Mein Zwiespalt macht mich inkompatibel. Anstatt zu passen, habe ich das anders-sein kultiviert, mit markanten Farben meine Kanten unterstrichen. In mir lebt die Lust an der Veränderung, die Lust an einem echten übervollen Leben, das mehr sein muss, als das nachmalen mit Schablone. Ein Leben, das vor lauter Unruhe im Gemälde aus dem Rahmen fallen will.

She Dares

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