Ich liege mit Blick auf das Autodach in unsrem Van, das über die buckligen (mit bucklig meine ich wannentiefe Schlaglöcher) Straßen stolpert, auf dem Weg zurück nach Colombo. Der Trip diesmal ist nur eine kleine abgespeckte Version von den Tours, ,die wir sonst in Sri Lanka gemacht haben. Ich erinnere mich, wie meine Mutter mit unserer Oma und Tanten am Vortag der Reise bis spät in die Nacht das Essen vorbereiteten und alles in Dosen füllten. Am nächsten Morgen ging es los. Sämtliche Tanten,Onkel, Cousins in fast jedem Alter, vom Säugling bis zum Teenager, stopften sich in einen 8-Sitzer, immer am Vordersitz unser Großvater, stets adrett im weißen Ausgeh-Sarong und hielt, als mein Bruder noch klein (und niedlich) war, diesen am Schoß. Das war der beste Platz im ganzen Auto! Denn hinten war es eng und laut, was für uns Kinder der größte Spaß war und für unsere Eltern wohl wie eine Erfahrung als Dompteure in Flohzirkus. Um uns etwas zu bändigen, gab es Geschichten über das alte Königreich und Witze zuhauf. Wenn auch die zu Ende gingen, schob unser Fahrer eine Kassette ein und es sangen alle zu den Oldies but Goldies des srilankan Schlager mit. Ich hielt mich zurück und mir die Ohren zu! Das war sogar mir zu laut und zu schräg. So fuhren wir, immer wieder mal anhaltend, um uns die Beine zu vertreten, hinter einem Baum aufs Klo zu gehen und andere solcher Dinge, bis in die Bergdörfer. Früher gab es keine Klimaanlage in den Autos, das bedeutete wir rissen alle Fenster auf und hielten unsere Köpfe in den staubigen Wind des Straßenverkehrs. Der Hunger hielt sich so auch in Grenzen, denn unsere Mägen waren mit Staub gefüllt und er knirschte zwischen den Zähnen. Solche Reisen waren als Kind ein Luxus auch ohne AC. Das erste was mein Bruder und ich taten, als wir vom Flughafen abgeholt wurden, war uns bis auf die Unterhose ausziehen, unsere Art der Aklimatisierung. Heute geht das nicht mehr ohne alle Blicke auf mich zu richten und den direkten Weg ins Gefängnis zu nehmen. In Bandarewella leben Verwandte von uns, die beide Lehrer waren. Wie es üblich ist in Sri Lanka, geben Lehrer Nachhilfe. Nicht etwa aus Gutmütigkeit, sondern aus lukrativen Gründen. Die öffentlichen Schulen hier genießen den Ruf, nicht die notwendigen Dinge zu lehren, sondern stattdessen teure Nachhilfestunden anzubieten, die die Schüler auf die Prüfungen vorbereiten. So eine private Stunde lässt sich der Lehrer, der in der Schule keinen ordentlichen Unterricht abhält, gut bezahlen. Die Eltern, die schon Not haben, den Lebensunterhalt zu verdienen, müssen zudem noch einen Kredit aufnehmen um den Kindern eine Bildung zu ermöglichen. Es ist grotesk und traurig. Geld hat hier eine so elementare Bedeutung, dass der Mangel davon sich auf sämtlichen Ebenen bemerkbar macht. Der Staat kommt für kaum etwas auf, eine Krankenversicherung existiert nicht. Lediglich die General Hospital bieten eine unentgeltliche Versorgung.
So zurück zur Geschichte. Die erwähnten Verwandten hatten ein eigens eingerichtet Klassenzimmer, in dem wir Kinder den ganzen Tag Schule spielten. Aufgrund meiner Brille, die mich mit zehn Jahren aussehen ließ, wie eine strenge Bibliothekarin, musste ich all zu oft die Lehrerin sein.
Bandarewella ist eine schöne Gegend mit für Sri Lanka unüblicher Kälte. Es hat wohl so an die 20°C. Was wahrlich eine Abkühlung bedeutet, wenn man bedenkt, dass wir vorher kuschelige 35°C hatten. Duschen war daher eine besonders mutige Angelegenheit: 1) die Dusche bei unseren Verwandten war draußen. Mit draußen meine ich die klassische”Bucket shower”. 2) das Wasser war so kalt, dass mir sogar jetzt noch die Zähne klappern, wenn ich daran denke. Gewaschen habe ich mich demnach nicht wirklich. Ich pritschelte bißchen mit dem Wasser und hatte dann das Problem, dass mit nur bisschen Pritscheln die Seife nicht abzuwaschen war. So musste ich mich zum finalen Kübel Eiswasser überwinden. Ich sag es nicht oft genug, aber da lernte ich es auch: erstunken ist noch niemand, erfroren hingegen viele!
Wir machten Spaziergänge in den Teeplantagen in der Gegend von Nuwara Eliya und kamen mit etlichen Blutegeln zurück. Wir besuchten das alte Hill Club, in dem nur Nicht-Srilankan und exklusive Mitglieder erlaubt sind, einem der typischen englischen Bauten auf der Insel. Dunkles Holz und alte Ohrensessel, gedämpftes Licht und Zigarren machten den Eindruck perfekt. Natürlich mischen sich hier auch nicht die Geschlechter, die Damen haben ihren eigenen Bereich. Auf unseren Touren haben sich immer irgendwelche Dinge ereignet, aber das, woran sich wirklich JEDER, der dabei war erinnern kann, war, als meine knapp 1jährige Cousine vom Stiegengeländer fiel. In Sri Lanka war ich schon in so einigen Häusern und die meisten davon waren bewohnt, bevor sie überhaupt bewohnbar waren, so lebten die Leute oft Monate wenn nicht sogar Jahre auf einer Baustelle, bis sie eines Tages ¨betriebsblind¨ wurden und mit dem Chaos assimiliert waren. Unsere Verwandten in Bandara Wella hatten ebenfalls so ein halbfertiges Haus, als wir damals zu Besuch kamen. Man erklärte uns, dass das Stiegengeländer wohl bald käme und wir sollten nur aufpassen, dass wir nicht ausrutschen, denn sonst könnten wir uns den Hals brechen! Meine 1jährige Cousine sprach damals ihrem Alter entsprechend nicht so flüssig Sinhala und hat ihre Fragen wohl nicht gut genug vorbringen können, worauf genau sie achten sollte. So kam es, wie es kommen musste. In der für ihre Altersgruppe typischen, beinahe an Zauberei grenzenden, Geschwindigkeit war sie die Stufen hinauf und ums Eck geklettert, als sie in dem Moment vom Rand fiel, als wir bemerkten, dass sie überhaupt weg war! Mit einem dumpfen Knall landete sie am Boden und hatte gut 2m Höhe zurückgelegt. In der für uns Dewasurendra eigenen Art, schrien erst mal ALLE gleichzeitig durch die Gegend, glaubten unsere kleine Sindy schon tot, bevor endlich meine Tante zu ihr eilte. So weit ich mich erinnern kann, war sie so fidel wie vorher, wenn nicht sogar noch mehr ob ihrer ersten Flugerfahrung. Dank der notwendigen Windel, war sie nämlich recht sanft gelandet und schlug sich erst nach dem Aufprall den Kopf. Ihr Vater, mein Onkel Kamal hatte das lauteste Organ der ganzen Familie, wenn er schrie, dann erschraken sämtliche Spiegel im Haus und alle Hunde suchten das Weite, so markerschütternd war sein Gebrüll in Tenor. Dabei sprang ihm der Adamsapfel beinahe aus der Kehle! Man muss sich das mal vorstellen, mein Onkel war dünn wie eine Bohnenstange, Sarons saßen nie gut an ihm, weil sie einfach herab rutschten, wenn er den Knoten nicht fest genug band. Ich glaube, das war einer unserer letzten Trips mit ihm bevor er an einem plötzlichen Herztod verstarb, damals hätten wir aber alles darauf verwettet, dass er vor lauter Gebrüll sterben würde! Die Kleine war zwar wohl auf, aber da sie doch heftig am Bauch gelandet war, wurde sie in der Nacht noch ins Krankenhaus gefahren. Es war aber alles in Ordnung. Diese Anekdote bekommt Sindy von uns gerne vorgesetzt, denn es war einfach zu komisch (sag ich jetzt, da alles gut gegangen ist).
Ja, etwas, was dominant weiter vererbt wird bei uns, ist unsere Fähigkeit zu Brüllen wie Löwen, völlig gleichgültig der Tatsache gegenüber, dass wir im Unrecht sein könnten. Mitten im Geschrei zur Besinnung zu kommen, ist ja nur der halbe Spaß! So fällt es uns auch recht schwer, einzugestehen, dass wir übertrieben haben.
Diesmal sind wir nur zu viert im Bus, haben also so viel Platz, dass wir gar nicht wissen wohin damit, aber lustig war es dennoch.
Am 08.01 finden in Sri Lanka Präsidentschaftswahlen statt. Mahinda Rajapaksha ist ähnlich wie Putin zum wiederholten Präsident geworden bzw geblieben, nun stellt sich ihm ein Gegner, der ihm ernstlich gefährlich werden könnte, wenn er seine Wahlmanipulation nicht gut genug durchführt. Wahlen werden hier ganz anders und so plakativ (im wahrsten Sinne des Wortes, das Land ist ZUGEKLEBT mit den hässlichsten Plakaten und überall lacht das Counterfeit des noch amtierenden Rajapaksha einem entgegen). Unter ihm ist das Land nur noch korrupter (2013 CPI Platz 91- 12 Plätze schlechter als 2012) geworden, nur von dem Glanz Prabakaran ausfindig gemacht und getötet zu haben (davon kursierten dann die widerwertigsten Fotos als Beweis) zu leben, ist zu wenig, wenn das Land danach nicht den Aufschwung erlebt, den es verdient hätte. Stattdessen verschuldet es sich bei China wegen des Baus der Autobahn und verkauft eine Firma nach der anderen ins Ausland. Die versprochene Wiederaufbauarbeiten im Norden laufen nur schleppend, den Kriegsopfern wurde zu wenig ihres Hab und Guts zurückerteilt, etc etc. Im Fernsehen laufen derzeit nur noch Propaganda-Filmchen, wie toll nicht beide seien oder wer woran Schuld sei. Das wird nur durch Telenovelas unterbrochen. Hierzulande befürchtet man Aufstände wenn Rajapaksha verlieren sollte und man erwartet den 8. Jänner mit Angst und Schrecken vor Ausgangssperren und sonstigen Einschränkungen. Wir werden sehen. In diesem Land gibt es so viel Armut (BIP pro Kopf: 5.700 USD, unter dem für ein sich ökonomisch entwickelndes Land errechneten Wert, Staatsverschuldung beträgt 79% des BIP), es blutet mir das Herz. Ich möchte all den armen Menschen, die für paar Rp Obst und Gemüse verkaufen, am liebsten ihren ganzen Stand abkaufen und noch mehr dazu legen. Es würde sich nichts für die Menge ändern. Daran hilft auch nichts, dass mein Vater in einem Moment der Verwirrung die falsche Telefonnummer zum Aufladen gegeben hat und so freut sich seit gestern ein Mensch über 1000Rp am Telefon, für die er sonst 1 Woche gearbeitet hätte.
Es fasziniert mich doch immer wieder in der Heimat zu sein. Ich stelle mir dann immer wieder aufs Neue die Frage, ob ich hier je leben könnte. Intuitiv ist es immer ein Nein.
Quellen: Hill Club CPI und BIP
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